Giovanni Pierluigi da Palestrina: „Sicut cervus“ im Spiegel seiner Zeit
Als Liebhaberin von Chormusik ist es mir nicht schwer gefallen das erste Lied meines Kulturfensterls zu finden – Sicut cervus von Giovanni Pierluigi da Palestrina. Wir befinden uns in der Zeit der Renaissance. Das Wort „Renaissance“ sagt uns vermutlich allen etwas, aber – wie auch mir – zu wenig um zu wissen welche Themen präsent waren, wie die Menschen gelebt haben. Die letzte Woche habe ich sehr viel Zeit damit verbracht mich mit dem Zeitgeist des 16. Jahrhunderts zu beschäftigen und habe teilweise richtig schmunzeln müssen, weil Menschen damals einfach auch schon Menschen waren. Gehen wir rein in das heutige Werk…
Sicut cervus – Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser…
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Über das Lied
Veröffentlicht wurde die Motette um 1584 mit dem Text basierend auf einem Auszug aus Psalm 42: „Sicut cervus desiderat ad fontes aquarum, ita desiderat anima mea ad te, Deus.“ zu deutsch „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele nach dir, Gott“. Das Lied ist geschrieben für 4 Stimmen – Sopran, Alt, Tenor und Bass.
Über den Komponisten
Giovanni Pierluigi da Palestrina – geboren 1525 in Palestrina, gestorben 1594 in Rom – gilt als einer der bedeutendsten Komponisten der Kirchenmusik. Sein erstes Engagement war 1544 als Chorleiter und Musiklehrer in seiner Heimatstadt. 1547 heiratete er Lucrezia Gori und sie bekamen zusammen 3 Söhne.
Vermutlich mithilfe von Spezlwirtschaft (Papst Julius III. kam aus Palestrina) wurde Palestrina 1551 ohne Prüfung oder Bewerbung als magister cantorum in der Peterskirche in Rom angestellt. Das war Palestrina dann zumindest eine Widmung seines Gesangsbuches Missarum liber primus für den Papst wert. Scheinbar hat das Gesangsbuch gefallen, denn Anfang 1555 wurde er durch selbigen Papst zum Mitglied der sixtinischen Kapelle ernannt – auch wieder ohne Prüfung und übliches Aufnahmeverfahren.
Allerdings währte dieses Glück nicht lange, denn Julius III. verstarb im März. Der nachfolgende Papst war ihm wohlgesonnen und hat ihm viel Inspiration gegeben. Doch dieser starb bereits nach 3 Wochen Amtszeit. Der Papst Paul IV., der ihm nachfolgte war ein sehr strenger, antiprotestantischer Mensch mit einem Hang zu Verbotspolitik und beschloss, dass nur noch Geistliche Mitglied der Sixtinischen Kapelle sein durften. Ende Juli 1555 wurde somit Palestrina mit einer lebenslangen Rente entlassen.
Im Zuge des Konzils von Trient wurde er dann wieder zurückgeholt in päpstliche Gefilde und wurde einer der wichtigsten Komponisten bezugnehmend auf mehrstimmige Chormusik.
In den siebziger Jahren starben seine Frau und zwei seiner Kinder und er fasste 1580 den Beschluss noch Priester zu werden. Meine Theorie: Er merkte aber schnell, dass das Priesterleben finanziell nicht so pompös ist wie er das gewohnt war – war er doch einer der zu der Zeit bestverdienensten Komponisten gewesen und hatte gewisse Ansprüche. Er verwarf den Gedanken, Priester zu werden 1581 wieder, heiratete die reiche Witwe des päpstlichen Pelzlieferanten und investierte strategisch in Immobilien. Scheinbar kurbelte der Reichtum die Kreativität an, denn es folgte eine Phase in der er sehr viele Kompositionen veröffentlichte. 1593 entschloss er sich, daheim in Palestrina interimsweise die Kapellmeisterstelle zu übernehmen. Die Unterzeichnung des „Arbeitsvertrages“ erlebte er allerdings nicht mehr. Er wurde 1594 in einer Gruft des Petersdoms beerdigt.

Was passierte zu dieser Zeit in Europa?
Versetzen wir uns mal in die 1580er Jahre. Es gibt keine digitalen Medien und die schnellste Fortbewegungsart ist per Pferd und Kutsche. Das bedeutet, Neuigkeiten und Strömungen brauchen lange bis sie sich verbreiten. Zu dieser Zeit war das katholisch geprägte Europa im absoluten Aufruhr. Erst ca. 60 Jahre zuvor hat Martin Luther dem Ablasshandel den Kampf angesagt, die 95 Thesen an die Klosterkirche zu Wittenberg geschlagen und somit die Reformation angestoßen. Das ging aus damaliger Sicht verhältnismäßig in Rekordschnelle, da es eine neue Art der Vervielfältigung gab – den Buchdruck, der ca. Anfang 1500 erfunden wurde. Die katholische Kirche hatte eine immense Angst vor einer Spaltung der Kirche, die ja dann letztendlich stattgefunden hat, und besprach im Konzil von Trient mit den ganzen wichtigen Funktionsträgern, wie man die Reformation wieder eindämmen könnte. Im Musikkontext war das z.B. das Verständlich machen der Texte der Kirchenmusik. Da kam Palestrina ins Spiel, der eine für diese Funktionsträger zufriedenstellende Lösung fand: pro Ton möglichst eine Silbe Text, und somit ein möglichst ausgeglichenes Silbe-Ton-Verhältnis. Somit hielt er die Obrigkeit der Kirche erfolgreich davon ab, als Maßnahme zur Verbesserung der Verständlichkeit die Polyphonie von Kirchenmusik zu verbieten. Noch eine interessante Neuerung der Vorjahre: 1582 beschloss Papst Gregor VIII. per Papstbulle den Umstieg zum gregorianischen Kalender, woraufhin im Oktober 10 Tage „übersprungen“ wurden. Das kann man übrigens auch beim iPhone Kalender sehen, wenn man bis 1582 zurückspult – falls euch mal langweilig ist 😉
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Was passierte in unserer Gegend?
Man sagt ja immer so schön, dass auf dem Land heile Welt herrscht. Aber auch bei uns im Landkreis ist die Reformation angekommen. Man sieht auf dem Bild links, dass der Landkreis Miesbach, die Grafschaft Hohenwaldeck, eine eigene Adelsherrschaft war und somit nicht direkt Teil des Herzogtums Bayern. Nachdem Ende des 15. Jhd. der letzte männliche Waldecker starb wurde die Grafschaft zuerst den Höhenrainern und dann den Sandizellern übertragen, bis die Grafschaft 1516 im Besitz der Maxlrainer landete. Diese waren offene Unterstützer der Reformation und so entwickelte sich die Grafschaft zum Zufluchtsort für Protestanten. Das ist dem tiefkatholischen Reformationsgegner Herzog Wilhelm V. (auch bekannt als „der Fromme“) ein absoluter Dorn im Auge. An sich hatte er darüber zwar keine direkte Entscheidungsgewalt, doch strategisch viel Macht. Nach langen Verhandlungen mit Maxlrain, die zu nichts führten, riegelte Wilhelm V. 1583 alle Grenzen zu der Grafschaft ab und ließ nur Leute das Herzogtum passieren und dort Handel treiben, die durch einen Beichtzettel den Katholizismus nachweisen konnten. In den Süden konnten die Menschen leider auch nicht ausweichen, da die Habsburger in Tirol ähnlich streng katholisch waren. So war die Grafschaft nach einem halben Jahr ausgehungert und Wolf Dietrich von Maxlrain musste 1584 Hohenwaldeck wieder katholisch machen und im Zuge dessen die Protestanten des Landes verweisen. Die Adelsherrscher selbst durften allerdings ihren Glauben behalten.
Zeitzeugen & Ereignisse
Wenn ihr Kunstwerke und Musikstücke habt, die ihr gerne in dieser Beitragsreihe wiederfinden wollt, schreibt es gerne in die Kommentare.
Eure